Buchrezensionen Team Bellini

Buch­rezension von Sandra

«Wie gut kennt man den Partner? Wie geht man mit dem Ungewissen um?»

In ihrem neuen Roman wirft Ursula Fricker erneut virulente Themen unserer Gegenwart auf. Fangspiele lotet die Ambivalenz von Kunst und Selbstaufgabe aus, lässt Gewissheiten zerbröseln, erzählt von manipulativer Macht und der bestürzenden Bereitschaft, ihr zu verfallen.

Ines und Lenni, eine über Jahrzehnte gefes­tigte Liebe, eine vertrauensvolle Partner­schaft. Sie Dermatologin und er Landarzt, leben sie mit ihrer Tochter, die Cello spielt, im Berliner Umland. Von ihrem Haus aus ist in der Senke der schieferfarbene See zu sehen, kein großer See, ein fehlendes Puzzle­teil, wie Ines immer sagt, als fehlte ausge­rechnet dort das letzte Puzzleteil der Erde. In ihr Leben, das der beste Freund eindeutig zu kitschig findet, platzt die charismatische Edda hinein. Mit ihrer Idee von absoluter Kunst wird sie für Ines zunehmend zum Faszi­nosum. Die spricht plötzlich von unerfüllten Jugendträumen und vernachlässigt alles, was ihr einmal wichtig war – ihre Tochter, ihren Beruf, Lenni. Als Edda sie für ein innovatives Theaterprojekt gewinnen will, lässt Ines ihr altes Leben fallen und stiehlt sich einfach davon.

Die Autorin schafft es mit jedem ihrer Bücher, fein und differenziert die Sichtweisen der Protagonisten glaubhaft zu definieren. In dieser Geschichte konnte ich mich mit jeder Figur  identifizieren, hab mitgefühlt und mitgelitten und dank den wunderbaren Beschreibungen der Umgebung mich wie in einem Film gewähnt. So viele Themen sind verwoben: Trauer, Machtspiel, Emanzipation, Ablösung, Liebesgeschichte, Familiengeschichte. Und weil alles aus der Perspektive des Mannes erzählt wird, hatte es für mich (als Frau) einen zusätzlich besonderen Reiz. Ein spannendes Psychogramm einer Familie, die sich plötzlich mit einem neuen Lebensentwurf auseinandersetzen muss.

Fangspiele Kopie
«Fangspiele» von Ursula Fricker
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Buch­rezension von Urs

«Tom Sawyer und Huckleberry Finn mit neu verteilten Rollen.»

Jim hat keinen Familiennamen, denn er ist Sklave, der Miss Watson und Richter Thatcher gehört. Sein Freund ist Huck (Huckleberry Finn) dessen Freund wiederum Tom Sawyer ist – und schon sind wir mittendrin in Mark Twains Erzählung, die wir doch noch von viel früher kennen, am Mississippi in den Südstaaten der USA. Die Rollen sind allerdings ganz anders verteilt, denn im Zentrum des Romans steht der des Lesens und Schreibens mächtige, flüchtige Sklave Jim, über weite Strecken begleitet von seinem jugendlichen weissen Freund Huck. Jim ist meist nachts unterwegs, weil er sich verstecken muss, ernährt sich von Fischfang und lernt auf seiner Flucht verschiedene obskure Gesellen kennen, die versuchen die Rechtlosigkeit eines flüchtigen Sklaven auszunützen.

Percival Everett ist ein bekannter US-amerikanischer Autor und Professor für Englische Literatur an der University of Southern California. Er beschreibt in geradlinigen, kurzen Sätzen die Flucht des Sklaven Jim entlang dem Mississippi. Die Erzählung in der Ich-Form lässt uns Leser teilhaben an einem Roadtrip per Floss, Kanu und zu Fuss in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts, geprägt von der Angst als rechtloser Sklave aufgegriffen zu werden. Jims Ziel ist seine Familie, Frau und Tochter, und auch sich selbst zu befreien, ein fast unmögliches Unterfangen auch wegen der Tatsache, dass gegen Ende des Romans der amerikanische Bürgerkrieg ausbricht, in dem die Staaten im Norden den Südstaaten, welche die Sklaverei beibehalten möchten, gegenüberstehen. Wir lesen ein berührendes Zeitdokument zur Rassenfrage, mit welchem sich auch die gegenwärtige Situation in den USA besser verstehen lässt. Ein Zeitdokument, in dem der rechtlose Jim seine Identität, eine andere Sprache findet, zu James wird und schliesslich auch seine Familie befreien kann. Aus einem Nigger wird ein selbstbewusster Black Man. Eine in einfachen, einprägsamen Worten gestrickte Geschichte wie eine Blues Melodie mit gutem Groove, bei der die Sprache eine zentrale Rolle spielt! Wichtig!

James
«James» von Percival Everett
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Buch­rezension von Carolin

«Vom Glück, einen echten Freund zu haben, von Kindheit, Hoffnung und Verzweiflung.»

Seit er vor einem Jahr in Bovenmeer angekommen ist, sitzt Tristan in der Schule neben Jimmy, der klüger und einsamer ist als alle anderen und es sich zur Aufgabe macht, Tristan Ibrahimi durch das Schuljahr zu begleiten. Denn der hat nicht nur einen Krieg erlebt und eine Flucht durch ganz Europa, sondern er hat auch das, wonach Jimmy sich am meisten sehnt: eine intakte, grosse Familie, die Halt und Geborgenheit bietet.  Gemeinsam bauen sie sich ihre eigene Welt voller geheimer Orte und einer Sprache, die beide verstehen, eine Welt, in der Freundschaft möglich ist. Bis jemand eine Entscheidung trifft, die nicht nur ihre Welt gefährdet und Jimmy und Tristan alles abverlangt.

Dem seitenmässig schmalen, inhaltlich aber krassen Büchlein wünsche ich eine grosse Leserschaft – und wage sogar, das Buch mit seinem  Inhalt als Klassenlektüre für Jugendliche ab ca. 14 Jahren vorzuschlagen bzw. bietet das Buch auch genügend Diskussionsstoff für Erwachsenen-Lesekreise . Die Autorin hat ein reales, in Belgien stattgefundenes Ereignis literarisch verarbeitet und schont uns in keiner Weise. Erzählt wird aus der Perspektive eines 12 jährigen, was der Erzählung eine scheinbare Naivität verleiht, dabei aber auch ganz filterlos und ohne Umschweife ist. Das Ereignis liegt faktisch 25 Jahre zurück, aber die Themen Flucht, Bleiberecht, Integration, Aussenseiter sein usw. sind nach wie vor aktueller denn je. Ein schmales Buch, dessen Inhalt  sich richtig ausgebreitet hat in mir und noch lange nachklingt.

Der-ehrliche-Finder
«Der ehrliche Finder» von Lize Spit
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Buch­rezension von Carolin

«Ein grossartiges Familienepos.»

Gemeinschaft und Zugehörigkeit kennt William Waters nur vom Basketballplatz. Das ändert sich, als er am College die temperamentvolle Julia Padavano kennenlernt und sich in sie verliebt. Er, der eine unglückliche Kindheit erlebt hat, erfährt, was es heisst, eine Familie zu haben. Denn Julia und ihre drei Schwestern sind unzertrennlich und ihre Eltern lange sehr präsent. William wird Teil des so herrlichen wie anstrengenden Chaos aus Liebe und Fürsorge. Zusammen überstehen die Schwestern den Tod des Vaters und den Weggang der Mutter. In allen Krisen geben sie einander Halt und erfreuen sich gemeinsam an Julias Glück mit William. Doch seine tiefe Einsamkeit wirft nicht nur Julias genau durchdachte Pläne für ihre gemeinsame Zukunft über den Haufen, sondern treibt auch die vier Schwestern auseinander – bis ein Schicksalsschlag ihren alten Zusammenhalt erfordert.

Ein Familienepos im grossartigen Stil der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts – bei der wir aus 3 Perspektiven betrachtet – in die Tiefen der emotionalen Schwierigkeiten der einzelnen Familienmitglieder eintauchen. Die Autorin kratzt all das aber nicht nur an, sondern gräbt richtig, richtig tief und so erhalten wir einen unglaublich allumfassenden Blick auf die einzelnen Charaktere der Padavano-Familie und ihren Ablegern, ohne dabei ins Kitschige ab zu triften. Ich habe mir immer ein Schwester im Leben gewünscht, die blieb mir verwehrt, aber glücklicherweise gibt es wunderbar auserzählte Schwestern-Geschichten, wie  „Hallo Du Schöne“, in denen ich den Zusammenhalt, die komplexen Beziehungsstrukturen, die Leidenschaften und Lieben und Freundschaften in einer Welt à la „Little Women“ fast wie am eigenen Leib erleben kann und beim Lesen alle Gefühlslagen durchlaufe, die für mich zu einem ultimativen Leseerlebnis dazugehören: ein Roman, der mich zum Lachen und Weinen gebracht hat.

Hallo-du-Schöne
«Hallo du Schöne » von Ann Napolitano
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Buch­rezension von Carolin

«Ein glänzendes literarisches Debüt.»

Thora, einzige Tochter einer charismatischen Stockholmer Industriellenfamilie. August, angehender Künstler, seit Jahren ihr bester Freund und manchmal auch mehr. Hugo, gleichermaßen fasziniert wie verängstigt von dieser neuen und privilegierten Welt, in die er unvermittelt als Untermieter von Thoras Eltern gestoßen wird. Bald sind die drei unzertrennlich und verbringen jede wache Minute miteinander: in Cafés, auf Radtouren, in Paris, London, Berlin. Unter der Oberfläche lauern starke Gefühle; Themen wie Identität, Klasse und Liebe brechen auf. Das fragile Gleichgewicht zwischen ihnen droht schon bald zu zerbrechen, aber noch ist alles in der Schwebe, noch ist alles möglich.

Das Trio ist ein glänzendes literarisches Debüt: zugänglich und präzise, subtil und elegant. Es erzählt von der Jugend und ihren Aufbrüchen, aber auch von Themen, die zeitlos sind: dem Gefühl der Entfremdung wie auch dem Verlangen nach Zugehörigkeit und Verbundenheit. Die junge schwedische Autorin schreibt sehr atmosphärisch von den Grenzen von Intimität, von Entscheidungen, die wir hätten treffen können – sie schreibt darüber, wie wir glauben gewesen zu sein und über die Beziehungen, die uns ein Leben lang beeinflussen und mit uns bleiben, obwohl sie längst zu Ende gegangen sind. Galant reisen wir mit ihr zwischen den Welten – sowohl räumlich (Stockholm, Paris, Barcelona und New York) als auch klassizistisch. Die Geschichte rund um die 3 Freunde und ihre feinen Gewebe, die sich um sie herum spannen, hat mir sehr gefallen. Für alle, die gerne in die Freundschaften und Beziehungen von anderen eintauchen und diesen auf den Grund gehen.

Das-Trio
«Trio» von Johanna Hedman
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Buch­rezension von Carolin

«Der Garten als Lehrmeister.»

Als Katrin de Vries nach Jahren in der Großstadt zurück in ihre Heimat zieht, in ein Backsteinhaus in Ostfriesland, zu dem auch ein großer Garten gehört, ist sie noch überzeugt: Rasen gehört gemäht, Unkraut gejätet und morsche Bäume sollten gefällt werden. Doch nach und nach ändert sich ihre Vorstellung von Naturschönheit, ja von Natur überhaupt, und sie wagt sie einen neuen Ansatz: Statt den Garten nach herrschenden Vorstellungen zu gestalten, lässt sie den Bäumen, Gräsern, Büschen und Blumen vor ihrer Haustür freien Lauf. Und während es um sie herum wächst, wimmelt und sprießt, beobachtet sie und lernt – und muss dabei unweigerlich an ihre Großeltern denken, für die der Garten noch eine ganz andere Bedeutung hatte.

Nature Writing von der deutschen Nordsee – perfekte Einstimmung auf den sich nahenden Frühling. Wie sehr mich diese Erzählung der Schriftstellerin und Gärtnerin Katrin de Vries eingesogen und berührt hat – ein Lesegenuss für alle, die ihren Garten, die Natur und den Lauf des Wachsens gerne beobachten und lieben. «Wir pflanzen Büsche und Bäume, wir bauen Kartoffeln an, wir lassen den Maulwurf gewähren, wir lassen die Ameisen ihre Hügel bauen, wir lassen das Vergissmeinnicht verwildern. Daran teilzuhaben, gibt uns eine Würde, wie sie vielleicht nur der Mensch bewusst erleben darf.»

Ein-Garten-offenbart-sich
«Ein Garten offenbart sich » von Katrin de Vries
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Buch­rezension von Daniela

«Eine berührende und versöhnliche Familiengeschichte, die geprägt ist von Krieg und Vertreibung.»

Die Erzählerin Özlem reist als Erwachsene mit ihrem Ehemann in das ostanatolische Dorf, in dem sie als Kind unbeschwerte Sommerferien bei den Grosseltern verbrachte. Beiläufig erwähnt ihr Onkel, dass der Ort einst von Armenier:innen bewohnt war. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass ihre Grosseltern, selbst Angehörige einer Minderheit, nicht schon immer in diesem Dorf lebten. Doch wie hängt ihre Familiengeschichte mit dem Genozid an den Armenier:innen zusammen? Wie aus einem tiefen Schlaf erwacht, beginnt sie zu forschen, bis sie endlich den Mut fasst, ihren Vater mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Die vagen Ahnungen der Kindheit – die unerklärbare Melancholie der Menschen im Dorf, die Geschichten über den roten Fluss – verdichten sich zunehmend zu einer schrecklichen Erkenntnis über Verfolgung und den Verlust von Sprache und Kultur. Subtil und berührend verwebt Özlem Çimen dabei Vergangenheit und Gegenwart zu einer einzigartigen Geschichte über Unschuld, Unterdrückung und Überleben.

«Babas Schweigen» beginnt mit dem Satz: «Um gross zu werden, brauchen Kinder neben Brot und Milch auch Geschichten». Ein feines Buch über Familienbande, Verlust und Verfolgung. Wo sind unsere Wurzeln, wie verstehen wir unsere eigene Familie in einer anderen, früheren Zeit?  Ein wahres Juwel ist Özlem Cimen gelungen und sie nimmt uns mit in ihre Heimat, die so süss nach Aprikosen duftet, und das Schweigen gebrochen wird. Cimen weckt mit ihrem Debütroman Verständnis und Bewusstsein für Minderheiten.

Babas-Schweigen
«Babas Schweigen» von Özlem Cimen
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Buch­rezension von Urs

«Für Liebhaber von literarisch hochstehenden Krimis.»

Ein Toter im See. Ein Hauptkommissar zurück am Ort seiner Kindheit. Eine Stadt, die zu schweigen gelernt hat. Scharfsichtig und spannungsgeladen bis zum Schluss zeigt Susanne Tägder, was geschieht, wenn Menschen um jeden Preis ihre Macht erhalten wollen. Inspiriert von einem wahren Fall.

Susanne Tägder aus Heidelberg arbeitete als Richterin in Karlsruhe, lebt heute in Rüschlikon am Zürichsee und schreibt literarische Texte. Das Schweigen des Wassers ist ihr erster Kriminalroman. Die Autorin pflegt eine klare, präzise Sprache, mit der die beschriebenen Situationen und Gefühlslagen messerscharf mit einer Prise feinen Humors umrissen werden. Sehr gerne verfolgen wir Hauptkommissar Groth durchs ländliche Mecklenburg, sehen zu wie Pils gezapft und Bockwurst aufgetischt wird und lernen bei den Fahrten auf dessen weit verzweigten Strassen und Wegen Land und Leute kennen, wo «Grüezi» «Tach» heisst. Auch den Hauptkommissar lernen wir kennen, seine Einsamkeit, die innere Stimme seiner verstorbenen Tochter, die ihn zu mehr Lebensmut überreden möchte und natürlich seine Arbeit. Eine Arbeit, die um Ermittlungen in einem ad acta gelegten Mord an einem Mädchen vor mehr als 10 Jahren und dem kürzlich in einem nahe gelegenen See ertrunkenen, alkoholabhängigen Ex-DJ/Musiker Siegmar Eck kreist. Eine Arbeit, die keine einfache ist, betrachtet doch Groths Vorgesetzter den Coldcase als definitiv abgeschlossen und Ecks Tod als bedauerlichen Unfall. Ob die beiden Fälle zusammenhängen, letzterer ebenfalls ein Mord war und welche Rolle die junge Serviererin im Ausflugslokal mit dem sinnigen Namen Erholung spielt, welche Eck offenbar näher gekannt hat und von dem alten Fall unmittelbar betroffen war, erfährt der aufmerksame Leser in kleinen, unprätentiösen Schritten und zahlreichen Begegnungen mit Bewohnern von Wechtershagen. Eine flüssig und sprachlich brillant geschriebenen Geschichte, in der äusserst brutale polizeiliche Verhörmethoden in der damaligen DDR eindrücklich, aber subtil thematisiert werden, eine bedrückende Geschichte um sinnentleerte Machtausübung und deren Erhalt in Staatsdiensten, im innersten Kreis mit Verbindungen zur Rechtsextremenszene, ein wirklich guter, authentisch wirkender Krimi, dem hoffentlich noch weitere folgen werden. Zuerst aber lassen wir uns durch das vorliegende Buch fesseln! Lesen!

 

Das-Schweigen-des-Wassers
«Das Schweigen des Wassers» von Susanne Tägder
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Buch­rezension von Sandra

«Ein Roman von radikaler Konsequenz, den man so schnell nicht vergisst.»

Was für eine Lektüre und definitiv ein in viele Richtungen bewegendes Buch! Wir sind in Afrika auf Safari, in einem Reservat und Camp. Wir lesen aus der Perspektive des Jägers (Hunter White) und verfolgen der ganzen Story wie durch ein Zielfernrohr. Fast atemlos folgen wir dem was wir da lesen und wissen nicht wie uns geschieht, denn die Figuren polarisieren und verunsichern, wer steht auf welcher Seite? Dieses Buch ist ein Lesehighlight das ich so schnell nicht vergessen werde weil Schoeters auch sprachlich zu fesseln weiss und es toll übersetzt ist. Ein Roman der fasziniert und verstört, der die Herablassung, mit der der Westen dem afrikanischen Kontinent und vor allem seinen menschlichen und tierischen Bewohnern begegnet, thematisiert. Unbedingt lesen!

Gaea Schoeters› Roman ist ein «ethischer Mindfuck» (Dimitri Verhulst) – provokant, radikal und eine erzählerische Ausnahmeerscheinung. Am Ende bleibt die Frage: Was ist ein Menschenleben wert?Gaea Schoeters› preisgekrönter Roman ist von einer außerordentlichen erzählerischen Wucht. Die Tiefenschärfe, mit der sie die Geräusche und Gerüche der Natur beschreibt, lässt einen sinnlich erleben, was einen moralisch an die Grenzen zwischen Richtig und Falsch führt. Hunter, steinreich, Amerikaner und begeisterter Jäger, hatte schon fast alles vor dem Lauf. Endlich bietet ihm sein Freund Van Heeren ein Nashorn zum Abschuss an. Hunter reist nach Afrika, doch sein Projekt, die Big Five vollzumachen, wird jäh von Wilderern durchkreuzt. Hunter sinnt auf Rache, als ihn Van Heeren fragt, ob er schon einmal von den Big Six gehört habe. Zunächst ist Hunter geschockt, aber als er die jungen Afrikaner beim flinken Jagen beobachtet….

 

Trophäe
«Trophäe» von Gaea Schoeters
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Buch­rezension von Urs

« Frische Krimispannung von der Ostsee.»

Hochsommer im deutsch-dänischen Grenzgebiet der Flensburger Förde. Fria Svensson, Leiterin des dänischen Museums für Archäologie, erhält mysteriöse Post: ein skelettierter menschlicher Finger, gefunden im nahegelegenen Thorsberger Moor, einem uralten Opferplatz. Doch die Knochen sind eindeutig neueren Datums. Fria schaltet die deutsche Polizei in Norgaard ein. Tatsächlich entdeckt das Team um Hauptkommissar Ohlsen Ohlsen sechs Moorleichen mit eingeritzten mysteriösen Zeichen auf den nackten Körpern. Das Werk eines Serientäters? Die eiligst gegründete SOKO Bog Body nimmt die Ermittlungen auf, und Frias Fachwissen ist gefragt. Zeitgleich geht bei der Polizei eine Vermisstenmeldung ein: Die siebenjährige Tilda ist verschwunden, von der überforderten Mutter viel zu spät bemerkt. Ohlsen weiß, jede Minute zählt, doch die sofort eingeleitete Suchaktion bleibt erst mal erfolglos …

Karen Kliewe hat schon einige Krimis geschrieben, die an ihrem Sehnsuchtsort, der Ostseeküste spielen. Sie berichtet uns Lesern in einer unverschnörkelten, direkten Sprache und kurzen Abschnitten auf jeweils verschiedenen Spielebenen über einen vorerst unappetitlichen Fund von zwei Fingergliedern in einer rostigen Büchse, der sich zur grauslichen Entdeckung mehrerer nackter Leichen in einem Moorsee steigert, gleichzeitig ist die Polizei mit der Suche nach der verschwundenen 7-jährigen Tilda beschäftigt. Die durch die Kollegen aus Flensburg verstärkte Ermittlungs-SoKo um Kommissar Ohlsen tappt im Dunkeln – eine mögliche Verbindung zwischen den Toten unterschiedlichen Alters führt schliesslich zu einer Volksschule. Geschickt versteht es die Autorin eine Atmosphäre der kompletten Verunsicherung zu schaffen, indem sie neben den unerklärlichen Todesfällen weitere Ungereimtheiten geschehen lässt: Die Computer des Museums, wo Fria arbeitet, scheinen gehackt worden zu sein, hinter der vordergründigen Identität des plötzlich aufgetauchten Ex-Kommilitonen von Fria verbirgt sich Geheimnisvolles, vertrauliche Details der polizeilichen Ermittlung gelangen direkt an die Presse, während eine unbarmherzige Hitzeglocke über Norddeutschland liegt. Wer zieht da welche Fäden im Dunkeln? Beklemmende Ungewissheit allenthalben, während der öffentliche Druck auf die Ermittler steigt und steigt. Als wenigstens die kleine Tilda gefunden wird, sind die Ermittler immer noch weit weg von der Lösung des Falls mit den Moorleichen. Wir lesen eine raffiniert eingefädelte, gegen Ende unheimlich spannende Story, in der es vor allem um Kinder als Opfer geht, es Raum gibt für Unausgesprochenes zwischen den Akteuren und diese schliesslich auch ihr gutes Herz gegenüber der traumatisierten Tilda zeigen dürfen. In einem dramatischen Showdown, bei dem gleichzeitig ein erlösendes Gewitter über der Gegend niedergeht, wird «finalmente» offensichtlich, wie die zahlreichen Vorfälle zusammenhängen und sich zu einem unguten Ende verdichten, für das sich die Autorin im Nachwort sogar noch entschuldigt (sic!). Gute nordische Krimis werden offensichtlich auch südlich der dänischen Grenze in Schleswig-Holstein geschrieben! Man lernt nie aus…


Die-Brandung---Moorengel
«Die Brandung» von Karen Kliewe
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Buch­rezension von Urs

«Für Liebhaber von raffinierten Psychothrillern.»

Drei Erzählebenen: Eins, Mathilda, eine junge Ex-Soldatin rast 2023 in Berlin in das Auto eines Mannes Namens Falk Porkhoff zwecks forcierter Kontaktaufnahme hinter der ein anonymes Schreiben zu stehen scheint, zwei, Rebecca Maywald unterrichtet 1997 Kunst und Deutsch an einer Schule in Riga, zu der die spröde, scheue Schülerin Xenia und deren missratene Brüder – einer davon heisst Falk –  gehören und schliesslich drei, die 8-jährige Penelope, die zu Grosseltern ins Allgäu ziehen muss, weil ihre Mutter Rebeca von der nach etlichen Ehestreitigkeiten mit ihrem untreuen Gatten jede Spur fehlt. So beginnt die verwickelte Geschichte zweier Familien, deren Bahnen sich im Laufe des Romans mehrfach treffen: Die Lehrerin Rebecca begann damals eine ungewöhnliche Beziehung mit Georg, dem begüterten Vater von Xenia und Mathilda erlebt Ähnliches mit dessen Sohn Falk mehr als zwanzig Jahre später. Zudem stellt sich heraus, dass Penelope Falk und seinem Bruder Tristan als Jugendliche schon einmal begegnet ist. Und was ist mit dieser Porkhoffschen Stiftung für Klimaschutz, Bildung und Nachhaltigkeit? Wahrlich ein bunter Strauss an Handlungssträngen, bei dem wir gespannt sein dürfen, wohin er uns Leser führt.

Wir lesen eine sehr flüssig geschriebene gut lesbare Geschichte, die Sprache deutlich und zuweilen auch durchaus deftig. Mit der Zeit nimmt die Handlung sichtlich Tempo auf, womit es für einzelne Akteure ziemlich gefährlich zu werden scheint. Neben der Sehnsucht der von ihren Mitschülern gemoppten Penelope nach ihrer verschwundenen Mutter, sie hat zudem ein krankhaft gutes Gedächtnis genannt HSAM, gelangt schliesslich die obskure Stiftung für Klimaschutz, Bildung und Nachhaltigkeit ins Zentrum des Geschehens, welche die begüterte, aus altem nordfriesischem Adel stammende Familie Porkhoff ins Leben gerufen hat. Schritt für Schritt nehmen die zu Beginn vagen, schattenhaften Begebnisse aus der Vergangenheit deutlichere Konturen an in der Jetztzeit zu Berlin, in der die taffe, kampferprobte Mathilda, sich von Falk Porkhoff, den sie eigentlich vor allem zu seinen wirtschaftlichen Liaisons aushorchen will, bezirzen lässt und auf die Frage, ob sie ihn heiraten möchte, ein schüchternes «Ja» zurück flüstert und damit in unaufhörliche Selbstzweifel gerät. Ob das gut endet? Die Antwort auf diese Frage zu erhalten, scheint ein guter Grund zu sein, der gut eingefädelten spannende Story weiter zu folgen, denn sehr langsam werden all die Lügen entlarvt, werden Andeutungen zu harten, unbequemen Fakten über eine einflussreiche Familie mit viel Geld, unübersichtlichem Immobilienbesitz, über den frauenverschlingenden Vater, der auch eine 15-Jährige missbraucht, über die eiskalte Mutter, den verunsicherten Sohn Falk und dessen verschwundene Schwester Xenia…. Ein verdammt gut inszeniertes Psychodrama mit einem ordentlichen Schuss Gesellschaftskritik – zum Beispiel untreue Ehemänner  – serviert uns da die gewiefte Anja Jonuleit: Es wird viel gelogen, getäuscht – auch uns Leser (sic!) – und zum Schluss ist die Überraschung perfekt, denn Schuld und Sühne folgen keinem einfachen Schwarz-Weiss-Muster. Für eine lohnenswerte Lektüre mit vielen Irrungen und Wirrungen und vor allem viel Spannung!

Kaiserwald
«Kaiserwald» von Anja Jonuleit
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Buch­rezension von Urs

«Ein packendes Buch mit viel Friesland und Salzluft.»

Bei einem Spaziergang an der Küste Northumberlands stoßen niederländische Urlauber auf die Überreste einer Leiche. Eine alte Schwimmweste deutet auf eine Verbindung zu einem 21 Jahre zuvor geschehenen Unglück hin. Damals sank der Seeschlepper Pollux nördlich der Düneninsel Rottumerplaat. In einer komplizierten Mission der Seenotretter von Ameland und Norderney konnten alle Besatzungsmitglieder gerettet werden – bis auf den Kapitän. Handelt es sich bei dem geborgenen Skelett um den Vermissten?Kommissar Liewe Cupido, genannt »der Holländer«, will den Fall abgeben, ist er doch gerade mit seiner eigenen Vergangenheit beschäftigt: dem mysteriösen Verschwinden seines Vaters auf See. Doch als sein ermittelnder Kollege Xander Rimbach auf Norderney vergiftet wird, muss Cupido erneut seinen friesischen Spürsinn unter Beweis stellen.

Der bekannte niederländische Autor Mathijs Deen ist, wenn es um Geschichten geht, die sich um die Nordsee ranken immer ein sicherer Wert. Wiederum wird die vorliegende Erzählung mit der üblichen Prise sarkastischen Humors und mit viel wissenswerten Details aus Seefahrt und Nordseefischerei wunderbar bilderreich und in einer geradlinigen Sprache aufgetischt. Auch im vorliegenden Buch geht es grenzüberschreitend zu: Hier die holländischen Behörden mit der königlichen Marechaussee, da die die deutsche Inselpolizei von Norderney sowie die Bundespolizei See aus Cuxhaven mit unserem Liewe Cupido. Die Suche nach dem Grund für den 21 Jahre zurückliegenden tragischen Tod von Jacob Peiser, des Kapitäns der Schlepperschiffs Pollux erhält zusätzliche Würze durch die persönliche Geschichte von Liewe Cupido dessen Vater damals ebenfalls unter mysteriösen Umständen beim Auslegen der Netze bei schwerer See ums Leben kam. Auf der Suche nach der Wahrheit geraten die verschiedenen Ermittler durchwegs an breitrückiges Schweigen der durch die Nordsee geprägten alten Seeleute. Was verbergen sie? Interessant wird es, als Gebissuntersuchung und DNA-Abgleich ergeben, dass das aufgefundene Skelet zwar tatsächlich identisch ist mit dem tödlich verunglückten Kapitän der Pollux dieser aber nicht der Vater der vermeintlichen Tochter ist und auch eine zwielichtige Vorgeschichte auf hoher See hatte, wovon wiederum die Schussverletzung herzurühren scheint. Wir lesen eine recht komplexe Geschichte mit viel Nordsee-Atmosphäre und zahlreichen schwierigen, versteckten menschlichen Verwicklungen auch über die Verletzlichkeit und den Stolz der Seeretter, Verwicklungen, die dank der Beharrlichkeit der involvierten Ermittler zusammen mit dem wortkargen Liewe Cupido schliesslich ans Licht kommen. Ein packendes Buch, das mit viel Friesland, Salzluft und Irrungen und Wirrungen der Akteure derart kunstvoll gesponnen daherkommt, dass vordergründige Krimiaction überhaupt nicht von Nöten ist, um eine anhaltende, knisternde Spannung zu erzeugen. Lesen!

 

Der-Retter
«Der Retter» von Mathijs Deen
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Buch­rezension von Sandra

«Ein ehrliches Buch über Altern und Verlust.»

Vier Tage vor dem Höhepunkt des Sommers, dort, wo sich Louis Arthur Schongauer, einst düsterer Deutscher in Hollywood-Filmen, nach dem Tod seiner Frau zurückgezogen hat. Jetzt will er nur noch mit seiner Hündin leben, inmitten alter Oliven oberhalb des Gardasees. Doch dann strandet eine Reisebloggerin beim Wenden in seiner Zufahrt, und am nächsten Tag erwartet er eine Autorin, die ihn mit einem Porträt aus der Vergessenheit holen will: zwei Frauen mit Gespür für die Wunden in seinem Leben. Umso wichtiger wird ihm nun sein Tier, für das es nur ein Hier und Jetzt gibt … In Bodo Kirchhoffs neuem Roman geht es um die Sehnsucht nach dem Menschen, der uns erkennt, und die Abgründe, die sich auftun, wenn wir dieser Sehnsucht folgen.

Ein sehr unterhaltsam und amüsant zu lesendes Kammerspiel um einen abgehalfterten Schauspieler, der in Italien auf seinem Landsitz unverhofft Besuch von zwei Damen erhält und sich den grossen Fragen des Leben stellen muss. Ein Roman über das Verhältnis von Mensch und Hund, Mann und Frau, Freund und Feind, Alt und Jung, Schmerz und Glück, über Einsamkeit, Schuld und Scham. Bodo Kirchhoff schreibt wie gewohnt in prägnanter, lakonischer Sprache und eindringlichen Bildern. Der Ton und Kirchhoffs subtile Beobachtungsgabe hat mich ein wenig an Markus Werner erinnert.

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«Seit er sein Leben mit einem Tier teilt» von Bodo Kirchhoff
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Buch­rezension von Carolin

«Zwei Familien. Eine Nacht. Eine Entscheidung, die ihr Leben für immer verändert.»

Eine Sommernacht 1985: In einem Vorort von New York steigen drei betrunkene Teenager in ein Auto – und nichts ist mehr wie zuvor. Die Geschwister Sarah und Theo zerbrechen fast an der Last des Geheimnisses, das sie seitdem teilen, und selbst 20 Jahre später bestimmt es ihr Leben. Auch ihr Vater Ben, ein pensionierter Arzt, hadert mit seiner Rolle in jener denkwürdigen Nacht. Doch als Bens Begegnung mit dem zehnjährigen Nachbarsjungen Waldo eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, droht das Geheimnis zu platzen und ihrer aller Leben in ungeahnte Bahnen zu lenken.

Dieses Buch hat mich einfach ganz tief im Herz getroffen und war eine überwältigende Leseerfahrung. Ich konnte das Buch nicht zur Seite legen und habe es von Anfang bis Ende aufgesogen. Es behandelt die Themen Eltern-Kind-Beziehungen, Eheleben, Leben an sich, Tod und die Verbindung von allem und allen. Was ist im Leben wichtig, was zählt, welche scheinbar kleinen Entscheidungen oder das Unterlassen von Entscheidungen entscheiden über ein grosses Ganzes, und was lässt und Menschen staunen in all unseren Beziehungs-Geflechten auf der Welt und in unseren Leben. Der Roman zieht, wie durch ein Kaleidoskop blickend, durch die über 50 Jahre der beiden Familien Shenkman und Wilf. Die Autorin lässt (Lebens)Geschichten zusammenstossen, auseinanderbrechen und verbindet sie alle miteinander, wie ich mir nicht vorzustellen gewagt hatte.

Ich empfehle das Buch allen, die gerne emotional bewegende Romane lesen, die keine Angst vor den grossen Fragen im Leben haben und offen sind für eine andere Betrachtung auf das Leben, die Liebe und das Sterben . Und sich dabei gerne noch bestens unterhalten. Für mich ein emotionaler Pageturner, der mich tief bewegt hat.

Leuchtfeuer
«Leuchtfeuer» von Dani Shapiro
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Buch­rezension von Daniela

«Ein messerscharfer Blick auf Klassenunterschiede, raffiniert erzählt und ohne Klischees.»

Alia Trabucco Zeràn gibt Estela die Stimme des Hausmädchens und lässt uns glaubwürdig die Welt mit ihren Augen sehen. Eine Stimme die mich buchstäblich umgehauen hat. Eindrücklich und Unvergesslich. Estela arbeitet in einem chilenischen Haushalt, doch die Geschichte könnte überall auf der Welt spielen. Die Autorin zeigt ein schwindelerregendes Kammerspiel der Klassenunterschiede und führt uns diese raffiniert vor Augen.

Die junge Estela, die für die Familie, Haus und Garten tagein, tagaus sorgt und in ihrer «Zelle» hinter der Küche manchmal etwas Ruhe findet, diese Estela gibt dem Buch ihre Stimme. Das Mädchen (kein Name) das mit leerem Blick ihre Einsamkeit erlebt, erinnert Estela auch an ihre Kindertage. Den Versuch Estela`s eine Verbindung zum Kind herzustellen, zerbricht an der ehrgeizigen Mutter und dem autoritären Vater. Auf engem Raum ringen vier Menschen ums Überleben und laufen doch auf eine Katastrophe zu. Das Mädchen stirbt, und Estela wird vernommen.

Mein-Name-ist-Estela
«Mein Name ist Estela» von Alia Trabucco Zeran
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Buch­rezension von Urs

«Ein solid verfasster Krimi mit Gommer Reiseführer Qualitäten.»

Mitten im Gommer Bergfrühling schickt Kaspar Wolfensberger seinen Ermittler Kauz Chüzz Walpen, den Üsserschwiizer Ex-Polizisten mit Gommer Wurzeln und dessen treuen Hund und Begleiter Max auf Spurensuche. Tauwetter fördert am Dorfrand von Münster eine Leiche zutage, weitere unerklärliche Todesfälle im Seniorenhaus Primavera, der zur Altersresidenz umgebauten ehemaligen Auberge, geben zu reden. Dem neuen Gemeindepfarrer, dem afrikanischen Priester Emmanuel Mbembe, ist das Haus unheimlich. Als dieser während der Messe zusammenbricht und stirbt, steht für Kauz fest, dass der schwarze Pfarrer einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Wusste er mehr über die Vorgänge im Haus Primavera, als er Chüzz anvertraut hatte? Spielen rassistische Motive bei dem Verbrechen mit?

Kaspar Wolfensberger, praktizierender Psychiater in Zürich mit Walliser Wurzeln, hat schon drei zu verschiedenen Jahreszeiten handelnden Gommer-Krimis geschrieben. In dieser vierten recht gemächlichen mit vielen lokalen Details ausgeschmückten Erzählung führt der Autor uns Leser diesmal in den Frühling im Oberwallis, ins Goms, wo man nach 12 Uhr «güetän Abend» sagt. «Kauz» Walpen, Detektiv und Hauptperson auch in dieser Geschichte, verdankt seinen Übernamen den leicht hängenden Lidern seiner ansonsten sehr wachen, eulenhaften Augen.  Seinen richtigen Vornamen Alois mag er dagegen gar nicht. Begleitet wird er in der Regel von Hund Max. Kaspar Wolfensberger legt auch in dieser Geschichte den auftretenden Einheimischen oft Dialektbrocken ins Maul und spielt gerne verschmitzt mit den kleinen Animositäten zwischen den Oberwallisern und den Üsserschwiizern. Schritt für Schritt entsteht ein deutlicheres Bild des abgeschotteten sektiererischen Hauses Primavera mit seinen geheimnisvollen Geldgebern, einer Institution, die in der Gemeinde Münster, insbesondere wegen derer Leitung, als Fremdkörper, als Enklave wahrgenommen wird und in der gehäuft Todesfälle aufzutreten scheinen. Nach dem tödlichen Zusammenbruch des schwarzen Pfarrers Mbembe während der Messe werden deshalb die Ermittlungen durch die Walliser Polizei dort intensiviert, denen sich auch Kauz, der eine freundschaftliche Beziehung zu dem Pfarrer hatte, anschliesst. Schritt für Schritt gelangt Licht in die dubiosen Vorgänge im und um das Haus Primavera in dem ein Todesengel sein Unwesen treibt. Schlimm, änds schlimm! Tiiflisch! Wir lesen einen voluminösen Gommer Krimi mit schicksalshaften Ausflügen bis nach Afrika, in dem neben dem undurchsichtigen Altenheim in Münster auch zahlreiche detailliert beschriebenen Besonderheiten aus dem Oberwallis Platz haben, von den seltenen Grengjer Tulpen, dem Rotten, den Traubenkirschbäumen und ihrem Gespinstmottenbefall, der Furka-Dampfbahn, dem Grand Hotel Gletsch, dem verlassenen Hotel Miraval bis zu den Walliser Sagen und dem Gratzug der Seelen der Verstorbenen. Ein solid verfasster Krimi mit Gommer Reiseführer Qualitäten – unbedingt mitnehmen auf die nächste Ferienreise ins Oberwallis. Oder vielleicht steht das Buch ja bereits im Büchergestell des Aufenthaltsraums vom Hotel Glocke In Reckingen? Und dies zurecht, denn der Clou der Erzählung ist wirklich sehr unerwartet, haben doch einige Leute mehr Dreck am Stecken als ursprünglich vermutet, andere wiederum werden post festum von einem schrecklichen Verdacht entlastet und das Gift, ja das Gift – wie das in den Körper des Opfers, oder der Opfer, gelangte – ein Festfressen für den Toxikologen! Also auf zum Bücherkauf zu Buch Bellini oder nach Reckingen ins Hotel! Wenn nit heuto dann morgu…

Gommer-Frühling
«Gommer Frühling» von Kaspar Wolfensberger
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Buch­rezension von Urs

«Eine komplexe Lebensgeschichte mit realem sozialem Hintergrund, packend zu lesen.»

Mit direkt auf den Kopf zugesagten, in der Ich-Form geschriebenen Sätzen erzählt Barbara Kingsolver, eine bekannte, mehrfach ausgezeichnete US-amerikanische Autorin und Biologin, diese besondere, epische Geschichte des Aussenseiters Demon. Lakonische, von bitterem Humor durchtränkte Sätze, die klingen, als würde der junge Demon uns Lesern gegenübersitzen, um seine Geschichte in Echtzeit loszuwerden. Die Geschichte, die noch vor der Zeit des Internets handelt, ist keine glückliche, vielmehr erfahren wir Schritt für Schritt von den Aneinanderreihungen unglücklicher Zufälle und Fehlentscheidungen, die das Leben des jungen Demon prägen.  Wenn da nicht ein geliebtes Mädchen, wohlmeinende Freunde, Hillbilly-Partys, käme es vielleicht noch schlimmer, wo es doch schon schlimm genug ist bei Pflegeeltern, die Kinder nur aufnehmen, weil sie dafür Geld kriegen und dennoch Demon hungern und sogar noch für sie auf der Müllhalde arbeiten lassen. Wir lesen ein Epos über ein schwieriges Jungenleben, in dem er in der Schule gemoppt wird, das aber immer wieder unerwartete Lichtblicke durchschimmern lässt, insbesondere auch wegen der schnörkellosen, treffenden, bildhaften Sprache eines Jungen, der gerne vielfarbige Comics zeichnet und damit auch beginnt etwas Geld zu verdienen, um dann in dem schicksalshaften Jahre 2001 tatsächlich ein kleiner Footballstar bei der Highschoolmannschaft die Generals wird, bevor grössere Turbulenzen sein Leben aufs neue erfassen. Ein besonderes «Jugendbuch» für Erwachsene, ein aufschlussreicher Roadtrip durch das ländliche, als zurückgeblieben verrufene Virginia mit seinen Rednacks, Hillbillies, am Ende des vergangenen Jahrhunderts als der Opioid-Missbrauch in den USA einen Höhepunkt erreichte mit einem Romanhelden der endlich seine Familie, seine Wurzeln und – immer auf Messers Schneide – gerade noch einen Weg den Kopf über Wasser zu halten findet! Ob es ihm mit bald 18 Jahren gelingt, nach seinem tiefen Fall in die Drogen- und Medikamentensucht, in die er und sein unmittelbares Umfeld, inklusiver seiner Freundin gerät, wieder zu befreien? Steht er auch nach dem Todessturz von Freund und Feind an einem Wasserfall genannt des Teufels Badewanne noch einmal auf? Ein Buch über die Verheerungen der Armut, über das Wiederaufstehen nach dem Fallen, über den Wunsch endlich «jemand sein zu können», aber auch über den erschreckenden Schmerzmittel- und Drogenmissbrauch in den USA zu jener Zeit, ein Buch, das schon vom Titel her an Charles Dickens Roman «David Copperfield» gemahnt. Ein grossartig geschriebener epischer Text zu dem hart getakteten Blues des Lebens mit einem berührenden Happyend, das Hoffnung aufkommen lässt.

Ein Trailer in den Wäldern Virginias, dem Land der Tabakfarmer und Schwarzbrenner, der  Hillbilly-Cadillac -Stoßstangenaufkleber an rostigen Pickups. Hier kommt Demon Copperhead zur Welt – die Mutter ist noch ein Teenie und frisch auf Entzug, der Vater tot. Ein Junge mit kupferroten Haaren, großer Klappe und einem zähen Überlebenswillen, bei allem, was das Leben für ihn bereithält: Armut, Pflegefamilien, Drogensucht, erste Liebe und unermesslichen Verlust. Es ist seine Geschichte, erzählt in seinen Worten, unbekümmert, vorwitzig, von übersprudelnder Lebenskraft.

 

Demon-Copperhead
«Demon Copperhead» von Barbara Kingsolver
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Buch­rezension von Urs

« Ein Muss für alle Liebhaber nordischer Krimis mit reichlich Action.»

Eva Nymans spektakulärer erster Fall: Psychologisch, vertrackt, hochexplosiv!

Erst trifft es einen Konzernboss in der Stahlindustrie, dann einen Marketingmanager im Dienst der Autolobby: In Schweden töten selbst gebaute Bomben zwei Menschen. Ein Klimaaktivist auf Abwegen, scheint es, der in seinen Bekennerbriefen von Sünde, heiligem Zorn und Rache faselt.Nur Eva Nyman ahnt, was wirklich hinter den skrupellosen Attentaten steckt. Denn in den Briefen findet die Kriminalhauptkommissarin Hinweise auf ihren alten Chef Lukas Frisell. Ist er der Terrorbomber, von dem nun alle reden? Nyman muss handeln, um einen dritten, noch viel verheerenderen Anschlag zu verhindern …

Arne Dahl ist das Pseudonym für Jan Lennart Arnald, ein schwedischer Literaturwissenschafter und Autor, der als Verfasser von Kriminalromanen schon einiges an Aufsehen erregt hat. Die flüssig geschriebene temporeiche Geschichte mit zahlreichen Bezügen zum Tagesgeschehen zieht uns auch wegen den sehr präzisen Beschreibungen der Akteure mit all ihren Ecken und Kanten, ihren schwierigen Lebensumständen, rasch in ihren Bann. Da das Team um Eva Nyman im Umfeld von Klimaaktivisten ermittelt, kann der Autor verschiedene brennende Gegenwartsprobleme in diesem doch recht voluminösen Buch thematisieren, Mikroplastik, Migration inklusive. Aber schliesslich sind es die in kurzen Kapiteln chronologisch erzählten aufwendigen Ermittlungsarbeiten der Spezialeinheit der Polizei um Eva Nyman die uns Leser fesseln, obwohl diese zunächst ziemlich ins Leere laufen. Ist der ehemalige Vorgesetzte von Eva Lukas Frisell wirklich der oder einer der Täter oder versucht jemand – ein irrer Stalker? – ihm die Schreckenstaten mit mindestens zehn Toten in die Schuhe zu schieben?  Sein Bedürfnis sich abseits der degenerierten Zivilisation in die Natur zurückzuziehen und dort als Einsiedler zurückgezogen zu leben, scheint jedenfalls ein stimmiges Motiv für die Attentate und die damit zusammenhängenden verklausulierten, anklagenden an Eva Nyman persönlich gerichteten Botschaften zum Untergang unserer Erde herzugeben und dann ist da noch Lukas’ DNS an einer der aufgefundenen Bomben… Wir lesen eine verwirrende Geschichte über die Suche nach der Urheberschaft einer Serie von Ökoterroranschlägen, über die Rache an männlicher Arroganz, über Überlebenskünstler in der feindlichen Natur, brandaktuell und brillant geschrieben in der verlässlichen Tradition actionreicher nordischer Krimis. Spannend bis zum Showdown, der es in sich hat: In ultrakurzen Bildschnitten geht es hin und her zwischen Wald und Flughafen. Ob es gut kommt? Die Antwort steht auf Seite 451.

 

 

Stummer-Schrei
«Stummer Schrei» von Arne Dahl
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